Video-Sprechstunde: Diagnose und Behandlung im Netz – Interview mit der ärztlichen Leiterin Dr. Ulrike Thieme


Zava ist eine europäisch führende Online-Arztpraxis, in der Ärzt:innen per Video- oder Telefonsprechstunde aus der Ferne beraten, Rezepte ausstellen und Krankschreibungen erteilen.

Geschichte

Zava wurde unter dem Namen Dr. Ed in London gegründet und konzentrierte sich zu Beginn auf Sexualmedizin. Nach der Übernahme durch Sprechstunde.online zu Beginn des Jahres setzt das Unternehmen vermehrt auf Sprechstunden im Videoformat. Heute ist Zava neben Großbritannien und Deutschland auch in Irland und Frankreich mit einem breiten Behandlungsspektrum tätig.

So funktioniert es

Bei Besuch der Homepage von Zava ergeben sich drei Optionen. Zum Einem können Medikamente angefragt und direkt auf der Website bestellt werden. Ein Arzt entscheidet im Anschluss, ob eine entsprechende Indikation vorliegt. Zum Anderen besteht die Möglichkeit einen Online-Fragebogen auszufüllen. Anhand dieser Informationen entscheidet die Ärzt:in über das weiter Vorgehen, was eine Online Konsultation oder einen Verweis auf einen persönlichen Kontakt beinhalten kann. Wer lieber direkt den Kontakt mit der Ärztin wünscht, kann auch eigenständig einen Termin in der Videosprechstunde buchen. Die Kosten dafür übernehmen gegenwärtig nur private Krankenkassen.

Videosprechstunde im Aufschwung

Laut Ärzteblatt können sich derzeit drei Viertel der Deutschen eine Videosprechstunde in vorsellen, wenn sie dadurch schneller einen Termin bekommen (74,9 Prozent) oder lange Fahrtzeiten vermeiden können (74,6 Prozent). Auch die Vermeidung einer möglichen Ansteckung im Wartezimmer ist in Zeiten einer Pandemie für die Befragten ein wichtiges Kriterium.

Zweifelsohne erfordert die Durchführung von Videosprechstunden auch vom medizinischen Personal neue Fertigkeiten. Nur schleppend wird diese Thematik jedoch in die medizinische Ausbildung integriert. In Homburg üben Studierende beispielsweise mit Schauspielpatienten.

Zu diesem Thema hat Zava gemeinsam mit der Marketingagentur Peak Ace den Report “Medical Education” erarbeitet.

Kernaussagen sind unter anderem:

Viele Studierende sind der Meinung, dass Digital Health ein Teil des obligatorischen Curriculums an den medizinischen Fakultäten sein und früh im Berufsleben gelehrt werden sollte. 

Nach aktuellen Umfrageergebnissen wurden nur 21 % der Studierenden als „digitale Alleskönner“ eingestuft. 

Ein möglicher Lösungsansatz, um Ärzten digitale Kompetenzen an die Hand zu geben und neuesten Innovationen gerecht zu werden ist das entworfene Curriculum 4.0. 

Die Universität Duisburg-Essen arbeitet aktuell an einem Projekt zur Vermittlung von digitalen Kompetenzen im Kontext des Medizinstudiums (DiKoMed). 

Wir haben die Möglichkeit in einem Interview mit der ärztlichen Leiterin Dr. Ulrike Thieme die Ergebnisse des Reports zu erörtern.

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten mussten Sie persönlich als Medizinerin in der neuen Aufgabe als medizinische Leiterin einer Online-Arztpraxis erlernen?

Vor allem die Adaption und der Umgang mit modernen Medien war zunächst ungewohnt. Natürlich stellt es einen Unterschied dar, ob Patient:innen wirklich vor Ort sind oder eine Online-Konsultation stattfindet. Trotz dessen ist es unabdingbar, die Digitalisierung und deren Auswirkungen in die Medizin zu integrieren. 

Online-Sprechstunden sollen die Fähigkeit haben dem Arzt zu entlasten. Kann dies nicht zum Laste des Patienten erfolgen? Ein umfangreiches Bild vom Patienten kann sich der Arzt schließlich vor allem dann machen, wenn dieser vor ihm steht?

Online-Sprechstunden sollen die Sprechstunden vor Ort nicht ersetzen. Im besten Fall ist der Patient bereits einmal vor Ort beim Arzt gewesen, damit sich dieser ein Bild von dem Patienten machen konnte. Von Vorteil sind die Online-Sprechstunden dann insbesondere für diejenigen, die auf dem Land leben oder mobil eingeschränkt sind. Auch in Zeiten der Pandemie und dem Risiko einer Ansteckung vor Ort, stellt eine Online-Konsultation einen erheblichen Vorteil dar. 

“Eine ganzheitliche Überzeugung in Bezug auf Digitalisierung in der Medizin ist in der Branche noch nicht angekommen” heißt es im Bericht. Sehen Sie den Grund dafür in einer generellen Digitalisierungsskepsis oder darin, dass vorhandene technische Lösungen nicht für den Alltag geeignet sind?

Ich sehe den Grund dafür insbesondere darin, dass es vielen Ärzten an digitalen Möglichkeiten fehlt. Die ausreichende Einführung und Vorbereitung für eine Digitalisierung findet wenig Beachtung, was eine allgemeine Skepsis gegenüber der Digitalisierung und digitaler Innovationen in der Praxis nach sich zieht. Hier gibt es klaren Verbesserungsbedarf.

In dem Report werden vier neue Berufsmöglichkeiten für Mediziner hervorgehoben, darunter Fachkraft für digitale Gesundheit, Prozessmanager für digitale Gesundheit, Systemarchitekt für digitale Gesundheit, Remote arbeiten, beispielsweise als Online-Arzt.

Welche Ansätze gibt es bisher und wie realistische schätzen Sie es ein, dass die Berufe in absehbarer Zukunft eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen spielen?

Den Ansatz stellt m.M.n. schon das Schaffen dieser Berufsmöglichkeiten dar. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Berufe in Anbetracht auf digitale Weiterentwicklung der Branche unabdingbar sind. 

Nicht erwähnt in diesem Zuge wird der Facharzt für Digitale Medizin. Braucht es diesen nicht?

Ich glaube, dass der reine Facharzt für Digitale Medizin so nicht zwingend benötigt wird. Es sollte ja nicht vergessen werden, dass ein umfassendes klinisches Verständnis basierend auf einer entsprechenden Ausbildung unverändert erforderlich ist, auch wenn eine digitale Versorgung stattfindet. Viel wichtiger ist es, dass die verschiedenen Fachärzte die neuen digitalen Ansätze und Innovationen annehmen, erlernen und in ihre Arbeit mit einbinden. In diesem Sinne sollte “jeder” Arzt gleichzeitig auch Facharzt für digitale Medizin sein. 

In dem Bericht wird das Curriculum 4.0 erwähnt, in dem Module wie “Smart Devices und medizinische Apps” oder “Telemedizin” gelehrt werden sollen. Wie können diese Inhalte in das bestehende umfangreiche medizinische Curriculum integriert werden?

Wie bereits im Report erwähnt erfordert dieser Schritt ein hohes Maß an Umdenken seitens aller involvierten Akteure. Zwar ist das bestehende medizinische Curriculum, wie sie bereits erwähnen, sehr umfangreich, dennoch sollten Module wie „Telemedizin“ oder „Smart Devices und medizinische Apps“ als verpflichtendes Modul in die medizinische Ausbildung integriert werden. Am meisten Sinn würde dies im klinischen Studienabschnitt machen. 

Benedikt Kieslich

Benedikt ist Medizinstudent im 9. Semester in Göttingen und Gasthörer im Medizin-Ingenieurwesen. In seiner Doktorarbeit setzt er sich mithilfe des real-Time-MRTs mit den Auswirkungen von Orthesen auf das Sprunggelenk auseinander. E-Mail: Benedikt@medizin-von-morgen.de LinkedIN: https://www.linkedin.com/in/benedikt-kieslich

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