Das Interview wurde in zwei Teile aufgeteilt. In diesem ersten Teil geht es um den Werdegang von Dr. med. Freeman und ihre Arbeit bei „Tour for Diversity in Medicine“. Im zweiten Teil geht es um ihre Perspektive zu Gleichberechtigung und Diversität in der Medizin im Allgemeinen. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt. Die englische Originalversion können Sie hier lesen: Part 1 (English).
Über unseren Gast:

Dr. med. Brandi Freeman ist nicht nur eine Assistenzprofessorin für Pädiatrie an der University of Colorado School of Medicine und Kinderärztin in dem Children’s Hospital of Colorado, sondern auch eine Mentorin bei der Organisation „Tour for Diversity in Medicine“. Ihr Ziel ist es, die Chancen von Medizinstudenten mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen zu verbessern.
Dr. Freeman erwarb einen Bachelor of Science in Biologie mit den Nebenfächern Chemie und Französisch der Duke University in Durham, North Carolina. Sie studierte Medizin an dem Baylor College of Medicine in Houston, Texas. Dr. Freeman absolvierte das Harriet Lane Pediatric Residency Program am Johns Hopkins Hospital and Children’s Center. Sie war in dem Robert Wood Johnson Clinical Scholar an der University of Pennsylvania und erhielt ihren Master of Science in Health Policy Research.
Über die Tour for Diversity:
Die Tour for Diversity in Medicine organisiert Veranstaltungen in den USA, um Bachelor-Studierende verschiedener ethnischer Hintergründe über das Medizinstudium zu informieren und ihnen Tipps für ihre Karriere zu geben. Außerdem bieten sie ein Mentoringprogramm an und veranstalten seit der Covid-Pandemie digitale Seminare, an denen man auch von anderen Ländern aus teilnehmen kann.
Polina: Sie sind eine der MentorInnen bei Tour for Diversity in Medicine, einer Mentoring-Organisation, die Medizinstudenten mit unterschiedlichem Hintergrund unterstützt. Welche Rolle spielt Mentoring in Ihrem beruflichen Leben als Kinderärztin?
Dr. med. Freeman: Eine gute Betreuung zu haben war für mich schon immer sehr wichtig. Ich hatte Glück buchstäblich seit meiner Geburt einen Mentor zu haben: Mein Kinderarzt, der mich noch am Tag meiner Geburt in der Neugeboreneabteilung kennenlernte, war jemand, mit dem ich mich sehr gut verständigen konnte. Ich stellte ihm Fragen zur Schule, zum College. Als ich schon im College war, half er mir es herauszufinden, ob ich mich für Medizin interessiere [Hinweis des Editors: In den USA kann man Medizin nicht als erste Hochschulausbildung studieren. Man muss davor einen Bachelor machen], wie ich mich auf das Medizinstudium vorbereiten sollte, was ich während der Sommerzeit beachten musste [Hinweis des Editors: Sommerpraktika helfen angehenden Medizinstudenten, die Chancen auf eine Zulassung zum Medizinstudium zu verbessern]. Als ich diese Gespräche mit ihm in der Schule führte, haben wir dann einen Plan für das College aufgestellt, wie ich nach Praktika oder Hospitationen suchen würde. Daher denke ich, dass es für mich essenziell war, jemanden zu haben, der mich auf meinem Weg begleitet, mir dabei hilft, die Schritte, die ich unternehmen muss, um in die Medizin reinzukommen, klarzustellen und mir dann die Motivation und das Feedback geben würde.
Polina: Also haben Sie Ihre Arbeit bei Tour for Diversity gestartet, weil Ihr Kinderarzt Sie und Ihre Karriere beeinflusst hat und weil Sie selbst ein Mentor sein möchten und nicht nur für Ihre Patienten?

Dr. med. Freeman: Meine Geschichte, wie ich auf Tour for Diversity gekommen bin, ist ein bisschen anders. Ich kenne die Gründer schon seit unserem gemeinsamen Medizinstudium und damals schon entstand die Idee von so einem Projekt. Ich glaube, wir waren auf der Fahrt zu einem Termin in der Student National Medical Association, eine Studentenorganization mit der wie damals zutun hatten. Und auf dem Weg kamen wir auf diese Idee. Damals wollte niemand uns das Geld geben, um es umzetzen, da wir immer noch nur Studenten waren. Und so, Jahre später, als wir schon Fakultätsmitglieder waren, kamen wir auf diese Idee zurück. Und so war Tour for Diversity in Medicine geboren.
Polina: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe? Sind das BachelorstudentInnen in Vorbereitung auf das Medizinstudium, High-School-SchülerInnen oder auch Studierende, die bereits Medizin studieren?
Dr. med. Freeman: Unsere Zielgruppe hat sich inmitten der Pandemie verändert. Vor der Pandemie waren unsere Zielgruppen Bachelorstudierende, deren Ziel es war, Medizin zu studieren. In den letzten drei oder vier Monaten haben wir tatsächlich ein sehr kleines Mentoring-Programm für Medizinstudenten in den USA gestartet, die sich in der Pädiatrie bewerben. Dafür haben wir ein kleines Stipendium in Zusammenarbeit mit einer anderen Organisation erhalten. Damit wollen wir herausfinden, wie man am besten Studierende unterstützen kann, die diesen Fachbereich gewählt haben. Aber das war bisher der erste Versuch der Tour for Diversity, sich im Bereich der Betreuung von Medizinstudierenden einzubringen. Und ich muss stolz zugeben, dafür, dass das das erste Mal war, wo wir das getan haben, lief es ganz gut.
Polina: Sprechen Sie auch SchülerInnen an? Was ist Ihrer Meinung nach wichtig für Jugendliche bei der Entscheidung, ob eine Karriere im Gesundheitswesen das Richtige für sie ist?
Dr. med. Freeman: Ich bin Kinderärztin, also arbeite ich mit Kindern jedes Alters von 0 bis 23 Jahren. Tatsächlich sind einige meiner Patienten gar keine Kinder mehr, aber ich denke, die Verbindung zu einem Mentor zu haben, sei es in Ihrer Karriere oder durch eine andere Art von Organisation wie Tour for Diversity, kann wirklich wichtig sein. So kann man einem helfen, die Ziele von einem klarzumachen und sie zu verfolgen. Ich habe schon mehrmals Gespräche mit SchülerInnen geführt, wo es nur um meine Karriere und verschiedene Dinge, nach denen man Ausschau halten müsste, um es zu erreichen, ging. In der Schule braucht man vielleicht nicht unbedingt einen Arzt, der einem jeden einzelnen Schritt erklärt, aber es schadet auch nicht. In den USA ist der Weg zum Medizinstudium kompliziert: man schließt die High School ab, dann vier Jahre Bachelor und erst dann vier Jahre Medizinstudium. Und ich hatte schon Schüler, die mir sagten: „Ich werde Krankenschwester, denn das kommt vor dem Arzt“. Und das stimmt nicht. Menschen schaffen Vorstellungen davon, was ihrer Meinung nach der Weg zur Karriere in der Medizin ist. Aber selbst wenn man keinen Mentor hat, gibt es in den Schulen die sogenannten Berufsberater und andere Art von Karriere-Mentoren oder Karriere-Spezialisten, die einem helfen können, z.B. Stipendien zu finden und die nächsten Schritten zu definieren.
Polina: Wie hilft Tour for Diversity in Medicine der neuen Generation von Abiturientinnen, Studierenden und Ärztinnen während der Covid-19-Pandemie?
Dr. med. Freeman: Wegen der Pandemie hatten wir einen Wahrnehmungswandel. Am Anfang der Tours haben wir ja nur persönliche Veranstaltungen organisiert und unser Prinzip des Schul-/Hochschulauswahls war öfter rein geografisch. Als wir eine Bustour planten, wussten wir, dass wir von Virginia nach Atlanta oder von Virginia nach Florida gelangen mussten. Und da wir wussten, dass wir durch diese Städte fahren müssen, haben wir uns auch die Schulen in der Nähe dieser Gegenden angesehen. Einerseits, konnten wir so unsere Veranstaltungen an die Teilnehmer anpassen und mit den Schülern optimal verständigen. Anderseits, sind uns auch viele Orte und die dort lebenden Schülerinnen und Schüler entgangen.
Da durch Pandemie das alles unmöglich geworden ist, sind wir auf das virtuelle Konzept umgestiegen und haben ziemlich schnell festgestellt, dass wir auf diesem Wege ganz unterschiedliche Schülertypen erreichen können. Auf dem heutigen Standpunkt sind schon zwei virtuelle Touren hinter uns und daran hatten Studierende und SchülerInnen aus der ganzen Welt teilgenommen. Dies hat das Hindernis beseitigt, das unser geografischer Standort dargestellt hatte.
Polina: Glauben Sie, dass Sie nach der Pandemie mit diesen virtuellen Touren weitermachen werden?
Dr. med. Freeman: Ich denke, wir werden wahrscheinlich beides machen. Die Pandemie hat uns klar gemacht, dass die persönliche Verbindung zwischen Menschen eine wertvolle Sache ist, und daher denke ich, dass es vor allem wichtig ist sowohl uns als Team persönlich zu verbinden, als auch persönlich mit den Studierenden und SchülerInnen in Kontakt zu treten… Wir werden aber auch das virtuelle Modell weiterführen, weil das unsere Reichweite deutlich vergrößert.
Polina: Aus welchen Ländern kamen die meisten TeilnehmerInnen?
Dr. med. Freeman: Es gab Studierende aus Nigeria, Indien, Großbritannien… Es gab auch ein paar Medizinstudenten, die US-Bürger waren, die an eine Universität im Ausland eingeschrieben waren.
Für mich war es essenziell, jemanden zu haben, der mich auf meinem Weg begleitet, mir dabei hilft, die Schritte, die ich unternehmen muss, um in die Medizin reinzukommen, klarzustellen und mir dann die Motivation und das Feedback geben würde
Polina: Auf der Website von der Tour habe ich gesehen, dass die Tour für Diversity viele Mentoren hat. Wie rekrutieren Sie neue Mitglieder für das Mentorenteam? Sind die meisten selbst Medizinstudenten?

Dr. med. Freeman: Sie kommen aus verschiedenen Bereichen. Alle diese MentorInnen sind Menschen, die wir entweder durch die Arbeit in verschiedenen Netzwerken im Bereich der Diversität und Inklusion kennen, oder als MedizinstudentInnen der National Medical Association. Wir hatten Bewerber, die sagten „Ich habe gesehen, was ihr macht, ich will mich daran beteiligen!“ und dann sind sie unseren Bewerbungsprozess durchlaufen, sich beworben und wurden interviewt, um an der Tour teilzunehmen. Wir hatten ein paar Studierende, die Medizin studieren wollten und nach dem abgeschlossenen Medizinstudium dann auch Mentoren wurden. Wir haben allerdings auch Mentoren, die wir rekrutiert haben, als wir auf der Suche nach einer bestimmten Spezialität waren. Zum Beispiel wollten wir einmal gezielt Apotheker ansprechen. Dann haben wir auch gezielt nach einem Fachmann in diesem Bereich gesucht.
Polina: Werden jetzt, wo ihr auch virtuelle Touren habt, auch Mentoren aus dem Ausland gesucht, die einen besseren Übersicht über den Aufbau des Medizinstudiums z.B. in Großbritannien haben?
Dr. med. Freeman: Die Anfrage von Medizin Von Morgen hat uns wirklich dazu gebracht, über die Reichweite außerhalb der Vereinigten Staaten nachzudenken. Ich glaube nicht, dass wir uns das im Hinblick auf unsere strategische Perspektive vorgenommen hatten. Wir wissen noch nicht, auf welche Art und Weise wir Menschen aus dem Ausland helfen können. Wie verbinden wir uns mit diesen Studierenden? Es ist definitiv etwas, was diskutiert wird, aber wie gesagt erst die Kontaktaufnahme mit euch hat uns auf diesen Gedanken gebracht.
Kontaktdaten von Tour for Diversity in Medicine:
E-Mail: Info@tour4diversity.org
Ein Gedanke zu “Gleichberechtigung und Diversität in der Medizin: Interview mit Dr. med. Brandi Freeman aus der Initiative „Tour for Diversity in Medicine“ Teil 1”