Was sollten Medizinstudenten über DiGA (Digitale Gesundheitsanwendungen) wissen? Interview mit Alexander Voigt (Digital Oxygen)

Über den Interviewpartner:

Foto Alexander Voigt, Digital Oxygen

Alexander Voigt ist Projektmanager in der Healthcare Practice der Unternehmensberatung Digital Oxygen. Gemeinsam mit einem Expertennetzwerk beraten sie Medizintechnikunternehmen und Start-Ups zu allen Aspekten rund um digitale Gesundheitsprodukte: Produktdesign, Zulassung, Markteinführung und Vertrieb. Kern ist dabei die Zentrierung auf Verschreiber, Patienten und weitere Anwender am Point-of-Care. Aktuell steht besonders das Thema DiGA im Fokus seiner Arbeit.

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Interview

Simon: Hallo Alexander, herzlich willkommen bei Medizin-von-morgen.de. Ich freue mich, das Thema “DiGA”, also Digitale Gesundheitsanwendungen, mit Dir besprechen zu können.

Für die Leser*innen, die sich vielleicht noch nicht so gut mit dem Thema auskennen: warum sollten sich (angehende) Ärzt*innen und andere Gesundheitsberufe mit DiGA befassen?

Alexander: Bei vielen Krankheitsbildern können Patient*innen bislang nur punktuell im Rahmen von Praxisbesuchen in ihrer Therapie unterstützt werden. Die Zeit zwischen den Terminen ist für Behandler*innen oftmals eine Blackbox. Umgekehrt sind Patienten*innen in diesem Zeitraum häufig auf sich allein gestellt. Hier können DiGA die Arbeit der Praxen ergänzen. Und insbesondere, wenn der Therapieerfolg von einer Änderung des Gesundheitsverhaltens abhängt, bieten DiGA viele Möglichkeiten: von einer Verbesserung der Datenbasis dank digitaler Therapiebücher, über vertrauenswürdige Hintergrundinformationen für Patienten, bis hin zu wissenschaftlich geprüften Therapieplänen. Der Zulassungsprozess beinhaltet eine evidenzbasierte Studie. Somit ist sichergestellt, dass es nur hochwertige Applikationen dauerhaft ins DiGA-Verzeichnis schaffen und verschreibbar sind.

Übersicht über bereits zugelassene DiGA

(Stand 26.3.2021, Quelle: DiGA-Verzeichnis des BfArM)

Simon: Mit dem 2019 verabschiedeten Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) wurde der regulatorische Grundstein für die Verschreibung digitaler Gesundheitsapps durch Ärzt*innen in Deutschland gelegt. Wenn Du die Situation in Deutschland mit dem Ausland vergleichst – wo stehen wir gut da und wo siehst Du noch regulatorisches Verbesserungspotenzial, um DIGA weiter zu fördern?

Alexander: Das Stichwort DiGA hat seit der Veröffentlichung des DiGA-Verzeichnisses im Oktober 2020 nicht nur in Deutschland große Wellen geschlagen, sondern auch international viele Scheinwerfer auf uns gerichtet. Eine flächendeckend geregelte Erstattbarkeit von Apps ist bislang einzigartig und zieht neben Start-ups auch internationale Konzerne an, die ihre innovativen Konzepte in Deutschland zuerst auf den Markt bringen möchten. Davon wiederum profitieren die Patient*innen. Bezüglich regulatorischer Verbesserungen bin ich mir sicher, dass wir in einiger Zeit auf neue Herausforderungen im Betrieb von DiGA stoßen werden, die es dann zu lösen gilt.

Simon: In 3 Sätzen: Wie sieht der Weg von einer App-Idee zur zugelassenen DiGA aus?

Alexander: Zuallererst ist es wichtig aus einer Idee schrittweise ein rundes Konzept zu entwickeln, das sowohl Patient*innen wie auch Verschreibern*innen einen Mehrwert bietet. Mindestens genauso wichtig ist es sich frühzeitig über die Anforderungen der CE-Kennzeichnung und des DiGA-Verfahrens klar zu werden und diese Zertifizierungen erfolgreich zu meistern. Der dritte große Schritt ist die Studie zum Nachweis positiver Versorgungseffekte, die aber auch noch im ersten Jahr der vorläufigen Zulassung erbracht werden kann. Wenn ich noch einen vierten Satz hinzufügen darf: Die GKV-Preisverhandlungen nach Studienabschluss sind ein ebenso wichtiger Schritt und ein elementarer Punkt für die Glaubwürdigkeit aller DiGA.

Simon: Mit welchen Problemen kommen die Kunden auf Dich in der Unternehmensberatung zu? Was siehst Du als größte Hindernisse bei der Zulassung von Gesundheitsprodukten?

Alexander: Wir bei Digital Oxygen beraten unsere Kunden insbesondere zur Ausrichtung digitaler Medizinprodukte auf die Bedürfnisse von Verschreibern*innen, Patienten*innen und sonstigen Nutzer*innen. Außerdem unterstützen wir bei der Klärung zulassungsbezogener Fragen für das CE-Kennzeichen und später im DiGA-Verfahren. Die aktuell größte Herausforderung sehen wir beim Umstieg auf die neue Medical Device Regulation MDR für das CE-Kennzeichen ab dem 26. Mai 2021. Da es bislang kaum Erfahrungswerte in diesem Zulassungsverfahren gibt, ist die Unsicherheit hier aktuell am größten.

Simon: Welchen Tipp kannst Du Start-ups für die Zulassung von DiGA geben? Anders gefragt, was unterscheidet eine erfolgreiche Zulassung von einer gescheiterten?

Alexander: Nicht den Mut zu verlieren und sich nicht zu scheuen, um Rat zu fragen. Die Zulassung von Medizinprodukten ist komplex und kann daher schnell frustrierend sein. Dazu möchte und darf man nichts falsch machen, um im Zulassungsprozess nicht unnötig Zeit zu verlieren. Aber es ist es wert und die Anzahl bereits zugelassener DiGA zeigt, dass es möglich ist.

Simon: Sind Deiner Meinung nach die Verschreiber*innen, also Ärzt*innen, ausreichend über DiGA aufgeklärt, oder sollte das Thema in Studium und Weiterbildung stärker fokussiert werden?

Alexander: Wie auch bei anderen Neuerungen stehen viele Beteiligte dem Thema DiGA erst einmal kritisch gegenüber. Das ist nur menschlich und wenig überraschend. Aber wie du schon andeutest, ist einer der Gründe, dass die Ärzt*innen anfangs nicht ausreichend über DiGA aufgeklärt wurden. Mittlerweile gibt es einige gute Ansätze, wie CME-zertifizierte Online-Seminare. Bis alle Vorurteile abgebaut sein werden, ist es aber noch ein langer Weg. Eine Thematisierung digitaler Therapieansätze wie DiGA im Studium wäre sicherlich sehr zeitgemäß und hilfreich.

Simon: Aktuell wird ja viel über eine verwandte Art von Apps heiß diskutiert: die digitalen Pflegeanwendungen (DiPA). Ganz kurz: wie beurteilst Du die aktuellen Entwicklungen diesbezüglich? Über das Thema können wir uns gerne in der Zukunft ausführlicher unterhalten, sobald der regulatorische Rahmen festgezurrt ist.

Alexander: Die Einführung von DiPA analog zu DiGA ist sehr begrüßenswert. Aktuell befindet sich das zugrundeliegende Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) noch in der Beratung. Es gibt noch einige grundlegende Fragen zu klären, bis die Entwicklung richtig los gehen kann. Einige Anbieter stehen aber schon jetzt mit vielversprechenden Konzepten in den Startlöchern.

Simon: Zum Abschluss der obligatorische Blick in die Glaskugel: Wie schätzt Du die zukünftige Entwicklung ein? Wie wichtig werden DiGA in der gesundheitlichen Betreuung von Patienten werden?

Alexander: Aus unserer Sicht sind DiGA in Zukunft fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Auch einige Medizinprodukte, die heute noch in andere Bereiche fallen, werden in Zukunft als DiGA firmieren. Der rechtliche Rahmen bietet viele Möglichkeiten, die aktuell bei weitem noch nichtausgeschöpft sind. Wir sind sehr gespannt auf die weitere Entwicklung.

Simon: Danke für das Gespräch!

Simon Rösel

Simon studiert Medizin in Göttingen und interessiert sich besonders für Innere Medizin, Bildgebung und Digital Health. E-Mail: simon@medizin-von-morgen.de

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