Elisa Eiber: „Frauen wünschen sich […] für ihre Fähigkeiten beurteilt zu werden, und nicht für ihr Geschlecht.“ – Interview mit einer Gründerin des Vereins „Die Chirurginnen“

In meinem Medizinsemester sind etwa 2/3 der Studierenden weiblich, an anderen Universitäten sieht das ähnlich aus. Gleichzeitig sind laut Ärzteblatt nur etwa 18% der Chirurg:innen weiblich und im Krankenhaus, aber besonders in der Chirurgie, gilt oftmals: Je höher der Dienstgrad, desto seltener Frauen. Aus diesem Ungleichgewicht heraus wurde der Verein „Die Chirurginnen“ Anfang 2021 mit dem Ziel gegründet, die Vernetzung von ausgebildeten und angehenden Chirurginnen zu stärken und sich gegenseitig zu unterstützen. In kurzer Zeit haben sich bereits 300 Mitgliederinnen angeschlossen. Wir haben mit Elisa Eiber, einer der Gründerinnen über den Umgang mit den Hindernissen, auf die eine Frau in der Chirurgie trifft, sexistischen Bemerkungen und wie sie ausgebildete und angehende Chirurginnen unterstützt möchten, gesprochen.

Über die Interviewpartnerin

Elisa Eiber, Jahrgang 1989, hat 2015 ihr Medizinstudium beendet und bis 2019 im evangelischen Krankenhaus Gießen als Ärztin in Weiterbildung Orthopädie und Unfallchirurgie gearbeitet. Seitdem ist sie in Elternzeit und erwartet ihr zweites Kind.

Eine Kommilitonin erzählte mir, dass Sie während einer Famulatur gegenüber Unfallchirurgen den Wunsch äußerte, die gleiche Karriere einzuschlagen. Darauf erhielt sie die Antwort: „Und wie wollen Sie Hüft-OPs machen? Machen Sie doch lieber Augenheilkunde..“ Was kann dem erwidert werden?

Wie man mit solchen Kommentaren umgeht, ist natürlich Charakterfrage. Ich persönlich frage sehr gerne so lange  “Wie genau meinen Sie das?“, bis dem Gegenüber auffällt, dass es ein hohler Kommentar ist. Auf Vorurteile wie benötigte Maximalkraft, Körpergröße und Arbeitszeiten muss man vorbereitet sein, um dann selbstbewusst sagen zu können „das ist Quatsch“.

Was können Frauen generell machen, wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen oder es sogar zu sexistischen Äußerungen kommt?

Auf keinen Fall sollten Frauen alles hinnehmen, weil die Situation ja nur temporär ist. Dann muss die Nächste wieder drunter leiden. Bei Ungerechtigkeiten und Benachteiligung hilft oft ein klares Ansprechen mit Ober- oder Chefarzt mit konkreten Beispielen! Bei sexueller Belästigung würde ich sofort die Personalabteilung einschalten.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen den Verein „Die Chirurginnen“ zu gründen? Haben Sie vielleicht persönlich schon negative Erfahrungen gemacht?

Unsere Präsidentin Prof. Dr. Katja Schlosser hat bereits 2012 ein Netzwerk für Chirurginnen auf Facebook und XING gegründet, daraus ist dann Anfang des Jahres dieser Verein entstanden – mit großem Zulauf! Kein Mitglied musste von der Notwendigkeit eines solchen Vereins überzeugt werden, wir alle haben schon gesehen dass es Frauen in unseren schönen aber ohnehin anspruchsvollen Fächern unnötig schwer haben und mit Vorurteilen und Benachteiligung zu kämpfen haben.

Warum gibt es gerade in der Chirurgie so einen geringen Frauenanteil?

Da muss man, denke ich, unterscheiden: Studentinnen wird oft von chirurgischen Fächern abgeraten, dass haben Sie ja selbst oben geschildert. Die Argumente sind häufig schlichtweg falsch oder sehr pauschal (denken sie doch an die Kinder!). Zum Glück lassen sich davon einige Frauen nicht abbringen und werden mit der Chirurgie glücklich. Bitter sieht es in der Führungsetage aus: ab Oberärztin werden Frauen immer rarer und die Anzahl von chirurgischen Chefärztinnen in Deutschland ist wirklich überschaubar. Das liegt an dem Buddy-System nach dem sich Männer fördern, auch werden zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle, Jobsharing etc. angeboten.

Wie möchten Sie angehende Chirurginnen unterstützen und welche Lösungsansätze haben Sie, um die Bedingungen für angehende oder praktizierende Chirurginnen zu verbessern?

Wir gehen diese Problematik multidirektional an: Chirurginnen finden bei uns zu erst einmal Austauschpartnerinnen, die verstehen, auf welche Probleme sie in der Chirurgie stoßen. Wir haben Programme für Hospitationen, ein individuelles Mentoring, Arbeitsgruppen zum Thema Familie und Operieren in der Schwangerschaft, und durch unsere fantastischen Mitglieder Zugang zu vielen Seminaren zur fachlichen und persönlichen Weiterbildung, sowie unsere eigene online Akademie!

Wie kann man sich als Studentin in dem Verein „Die Chirurginnen“ engagieren? Ist dies auch möglich, wenn man sich noch nicht sicher über die spätere Spezialisierung ist? Können sich auch Männer engagieren?

Studentinnen können unserem Verein gratis beitreten, es entsteht natürlich keine Verpflichtung dann auch als tätige Chirurgin weiterzumachen. Wir leben von einem lebendigen Austausch und haben diverse Arbeitsgruppen, über die sich auch neue Mitglieder kurz- oder langfristig engagieren können. Männer sind als aktive Vereinsmitglieder nicht vorgesehen, können aber gerne Fördermitglieder werden. Diese Entscheidung haben wir bewusst getroffen, um Frauen einen geschützten Raum zu bieten, denn unter sich kommunizieren Frauen einfach anders: in ihrer “Muttersprache” wie unser Vorstandsmitglied PD Dr. Anja Schaible so treffend sagt.

Was können Männer konkret machen, um die Arbeit für Frauen in der Chirurgie angenehmer zu machen und wie können sich Frauen gegenseitig unterstützen?

Frauen wünschen sich im Großen und Ganzen, für ihre Fähigkeiten beurteilt zu werden, und nicht für ihr Geschlecht. Männer können sowohl als Kollegen, Vorgesetzte, Studenten, aber auch als Patienten viel bewirken: Frauen in ihrer jeweiligen Position stärken und es als selbstverständlich zu betrachten, dass es nunmal die zuständige Ärztin/ Operateurin ist, die spricht, und nicht der PJler die Visite führt, nur weil er zufällig der einzige Mann im Team ist. Frauen müssen sich gegenseitig stärken und toxische Kommunikation am Arbeitsplatz konsequent verhindern, auch wenn sie selber nicht die Zielscheibe sind.

Möchten Sie angehenden Chirurginnen abschließend noch etwas auf den Weg geben?

Mut haben zum eigenen Berufswunsch! Gerade junge Frauen müssen sich klar machen dass sie es wert sind, gefördert zu werden, von Anfang an. Die eigenen Fähigkeiten zu erkennen und nicht klein zu reden, und keine Angst zu haben anderen auf die Nerven zu gehen – wer für sich eintritt, der tut das auch für alle Chirurginnen, die noch kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Benedikt Kieslich

Benedikt ist Medizinstudent im 9. Semester in Göttingen und Gasthörer im Medizin-Ingenieurwesen. In seiner Doktorarbeit setzt er sich mithilfe des real-Time-MRTs mit den Auswirkungen von Orthesen auf das Sprunggelenk auseinander. E-Mail: Benedikt@medizin-von-morgen.de LinkedIN: https://www.linkedin.com/in/benedikt-kieslich

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