Das Titelbild zeigt einen PiB-PET-Scan eines von Alzheimer-Demenz betroffenen Patienten (rechts) im Gegensatz zu einem gesunden Menschen. Die Alzheimer-Demenz ist gegenwärtig nicht kausal therapierbar, derzeit können nur Symptome gelindert werden. Kann die Früherkennung und medikamentöse Therapie der Alzheimer-Demenz als Beispiel für bisher unheilbare Erkrankungen durch Anwendung von Omics-Technologien revolutioniert werden?
Vorteile moderner Technologien in der Medizin
Über den Interviewpartner:
Lukas Hinkelmann studiert Humanmedizin im 7. Semester an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Vor seinem Studium hat er eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger abgeschlossen und arbeitet parallel zum Studium in der Pflege. Zudem absolviert er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Außerdem betreibt er für seine Doktorarbeit Forschung auf dem Gebiet der experimentellen Neurologie, engagiert sich im Verein Hashtag Gesundheit und ist Stipendiat der Stiftung Charité und Privaten Exzellenzinitiative Johanna Quandt.
Im ersten Teil des Interviews (hier klicken) ging es um die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen des Gesundheitssystems. In diesem zweiten Teil des Interviews unterhalte ich mich mit Lukas über die Rolle technologischer Anwendungen in der Medizin.
Das Interview:
Simon: Lukas, wie kann die Medizin durch die Anwendung moderner Technologien profitieren?
Lukas: Ich glaube, um potenzielle Vorteile moderner technologischer Anwendungen für die Medizin zu verstehen, ist es hilfreich einen Blick darauf zu werfen, wo die heutige Hochleistungsmedizin steht und insbesondere wie sie Gesundheit und Krankheit versteht.
Während interventionell und chirurgisch orientierte Medizin oftmals einen Patienten heilen kann, beispielsweise nach einem Skiunfall den gebrochenen Oberschenkel mittels Osteosynthese repariert, vermag es die Innere Medizin meiner Meinung nach nämlich vor allem Krankheitsverläufe zu verlangsamen und hinauszuzögern. Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck werden medikamentös eingestellt, bei der Verbesserung ihrer Lebensqualität und Lebenserwartung werden beeindruckende Ergebnisse erzielt, aber eine wirklich ursächliche Heilung ist in den meisten Fällen nicht möglich. Eine bekannte Ausnahme von dieser Beobachtung stellen Antibiotika dar, wenn beispielsweise eine unkomplizierte Blasenentzündung mit einer Einmalgabe von Fosfomycin therapiert werden kann. Hingegen kann die einfache Erkältung als Beispiel herangezogen werden für eine Erkrankung, bei der es selbst im 21. Jahrhundert keine Möglichkeit gibt, den Krankheitsverlauf in irgendeiner Form zu beeinflussen.
Simon: Woran liegt dieses Unvermögen der Inneren Medizin, eine Krankheit an der Ursache zu behandeln, begründet?
Lukas: Dies liegt in meinen Augen daran, dass eine Erkrankung heutzutage erst dann behandelt wird, wenn Patienten sich mit Symptomen vorstellen. Auch wenn dies im Fall von einer Erkältung kein Problem darstellen mag, so ist dies im Fall von einer Alzheimer-Demenz schon weit bedeutender. Lange Zeit wurde in Therapiestudien versucht, Menschen, welche bereits an Alzheimer-Demenz erkrankt sind, zu behandeln und quasi alle Studien sind bisweilen gescheitert (ausstehende Ausnahme: potenzielle Zulassung von Aducanumab in den USA).
Dadurch hat die Forschung begonnen, Möglichkeiten zu suchen, mit welchem wir eine beginnende Alzheimer-Demenz möglichst früh detektieren können. Insbesondere hier sind moderne technologische Anwendungen der Schlüssel, um den zeitlichen, aber auch räumlichen Verlauf von Krankheitsprozessen besser zu verstehen und ist mittlerweile in Form der Omics-Forschung quasi omnipräsent.
(Anmerkung der Redaktion: Definition Omics-Technologien: Die Untersuchung der molekularen Grundlagen von Krankheiten kann auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlicher Komplexität erfolgen. Holistische Analysen werden häufig unter dem Begriff „omics“-Technologien zusammengefasst. Dazu gehören unter anderem die Genomics, Proteomics oder Metabolomics, https://uni-tuebingen.de/exzellenzstrategie/forschung/plattformen/personalisierte-medizin/zpm-zentrum-fuer-personalisierte-medizin/technologien/)
Der nächste Schritt wäre es schließlich frühe Krankheitsprozesse so zu modulieren, dass die Krankheit verzögert eintritt oder gar nicht erst entsteht.

Simon: Früherkennung wird ja bereits heute, vor allem für verschiedene Krebserkrankungen, durchgeführt und von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen. Jedoch muss sich jedes Screening-Programm den Vorwurf einer möglichen Überdiagnose mit nachfolgender Übertherapie gefallen lassen. Nehmen wir als Beispiel die Mammographie: schätzungsweise erhalten von 1000 Frauen, die 20 Jahre an einem Mammographie-Programm teilnehmen, 9 bis 12 eine Überdiagnose mit nachfolgender Übertherapie. Wenn wir also Früherkennung ausweiten, weiten wir auch die Übertherapie aus?

Lukas: Du sprichst damit ein Problem an, welches jegliche diagnostische Tests, nicht allein Vorsorgeuntersuchungen, betrifft. Eine Untersuchung muss ja nicht nur Krankheiten sicher feststellen, sondern auch sicher vom gesunden Zustand unterscheiden können. Da es bekanntlich keinen perfekten Test gibt, der dies zu 100% leistet, kommt es zu Überdiagnosen, aber auch Unterdiagnosen.
Eine Nutzen-Risiko Abwägung ist bei jeder diagnostischen oder therapeutischen Entscheidung in der Medizin relevant. So hat jemand der eine Blutverdünnung nach einer Thrombose bekommt nicht nur ein geringeres Risiko eine Thrombose zu bekommen, sondern auch ein erhöhtes Risiko zu bluten. Ich denke, Vorsorgeprogramme werden in Zukunft nicht mehr nur auf Bildgebung beschränkt sein, sondern auch vermehrt molekularbiologische Erkenntnisse nutzen, um die Zahl an Falschdiagnosen zu minimieren.
Simon: Nehmen wir an, die Früherkennung von Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz funktioniert zuverlässig. Dann besteht auch der Bedarf an effizienten Maßnahmen, um den Patienten zu helfen und frühzeitig in die Pathogenese einzugreifen. Welche ethischen Implikationen sind dabei zu berücksichtigen?
Lukas: Eine Frage, welche in diesem Zusammenhang beantwortet werden muss, ist das bereits heutzutage präsente Auseinanderfallen zwischen medizinischer Möglichkeit, persönlichem Wunsch des Patienten und gesellschaftlichen Normen und Werten. Auch, wenn ich als Medizinstudent Begeisterung für all die modernen Möglichkeiten habe, so frage ich mich dennoch, welche von den Möglichkeiten man auch umsetzen sollte. Einen ersten Vorgeschmack darauf haben wir bereits mit der CRISPR Anwendung in der Keimbahn durch einen chinesischen Forscher erlebt. Dies wird denke ich in Zukunft kein Einzelfall bleiben.
Simon: Danke für das Gespräch!
Kontaktdaten
Lukas erreicht Ihr entweder per Mail (lukas.hinkelmann@charite.de) oder über sein Linkedin-Profil (https://www.linkedin.com/in/lukas-hinkelmann-860717196/)
Im ersten Teil des Interviews ging es um Lukas‘ Blick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe, hier gelangt Ihr dorthin: https://medizin-von-morgen.de/2021/01/pflege-und-medizin-interview-mit-lukas-hinkelmann/