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Startup Medicalvalues macht Künstliche Intelligenz für Labordaten, unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Über den Interviewpartner

Jan Kirchhoff ist Wirtschaftsinformatiker und Mitgründer des Startups Medicalvalues, das die medizinische Diagnosestellung durch künstliche Intelligenz für Labordaten unterstützen soll. Medicalvalues wurde u.a. mit dem 3. Platz beim Businessplan-Wettbewerb Medizin und einem 2. Preis beim German Medical Award ausgezeichnet. Im Interview mit Simon Rösel von Medizin-von-morgen erzählt er von Diagnoseunterstützung für Ärzte durch KI-basierte Labordatenanalyse, rechtliche und betriebswirtschaftliche Aspekte bei der Startup-Gründung im Medizinbereich sowie über Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI-Algorithmen.

Interview

Simon: Moin Jan, ich freue mich, dich als Gast bei Medizin-von-morgen.de begrüßen zu dürfen. Bevor wir auf das Startup eingehen, würde ich gerne mehr über deinen persönlichen Werdegang erfahren. Welcher Weg führte dich in den Bereich Digital Health?

Jan: Nach dem Abitur begann ich zunächst ein Medizinstudium. Nach zwei Semestern entschied ich mich allerdings, das Studium zu wechseln und bewarb mich für ein duales Studium Wirtschaftsinformatik beim Softwarekonzern SAP. Das war für mich die goldrichtige Entscheidung. Mein Interesse an komplexen Prozessen konnte ich dort sehr gut einbringen.

Nach dem Studienabschluss entschied ich mich, bei SAP zu bleiben und war zuletzt als Global Account Manager tätig, habe Großkunden wie BASF betreut und international gearbeitet.

Weiterhin hatte ich aber immer noch Kontakt zur Medizin, weil meine Freundin Medizin studierte. Sie ist heute auch Teil des medicalvalues-Teams. In ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie sich mit einer Fragestellung aus der Labormedizin. Gemeinsam mit meinem Mitgründer Florian habe ich dann erkannt, dass wir die Erfahrung, die wir im Umgang mit Machine Learning erlangt hatten, im Laborumfeld gut zum Einsatz bringen könnten. Bei SAP lernt man, sehr prozessorientiert zu denken und aus Zahlen und Daten Handlungsempfehlungen abzuleiten. Da die Labormedizin auch sehr datenbasiert ist, dachten wir uns, das wäre ein Bereich, in dem wir einen wirklich positiven Beitrag leisten und Herausforderungen für den Arzt zu lösen.

Simon: Lass uns nun über MedicalValues sprechen. Welches konkrete Problem löst eure Software? 

Jan: Die moderne Labormedizin erlaubt es, bestimmte Krankheitsbilder frühzeitig zu erkennen. Eine stetige Weiterentwicklung, Generierung neuer Parameter, Biomarker und Messmethoden ermöglicht der modernen Labormedizin eine immer aussagekräftigere Analytik, die jedoch auch an Komplexität zunimmt. Es ist für Ärzte nicht immer möglich, in der kurzen im Behandlungsalltag verfügbaren Zeit, eine Diagnose zu stellen, die der Fülle an Informationen vollständig gerecht wird.

Simon: Und was ist euer Lösungsansatz? 

Jan: Die medicalvalues-Plattform stellt Ärzten eine Oberfläche zur Verfügung, die sie bei der Auswahl der zu analysierenden Parameter und Proben unterstützt und Diagnosevorschläge (inklusive Differentialdiagnosepfade) vorschlägt. Dadurch verbessert medicalvalues die Früherkennung von Krankheiten, wie beispielsweise Diabetes, Fettstoffwechselerkrankungen und Anämie. Ganz konkret heißt das: einerseits geben wir dem Arzt Empfehlungen, welche Laborparameter er zu welcher Zeit anfordern sollte, basierend auf patientenspezifischen Daten wie Symptomen, Alter, Vorerkrankungen, Ethnizität und so weiter. Als zweites gibt medicalvalues, basierend auf den erhobenen Laborwerten, Diagnosehinweise.

Simon: Wie funktioniert das genau?

Jan: Die Datengrundlage für unsere Empfehlungen liegt in der Verbindung von bestehendem Forschungswissen mit Massendaten und einer dadurch erhöhten Qualität des Machine Learnings. Das Erfahrungswissen von Ärzten (in Form von anonymisierten und konkreten klinischen Entscheidungen) wird mit dokumentiertem Wissen (z.B. aus Leitlinien) kombiniert. Durch eine Anonymisierung von Daten vor Ort im Krankenhaus kann die Einhaltung strenger Datenschutzgesetze gewährleistet werden. Die medicalvalues-Plattform fördert sowohl den klinikumsübergreifenden Wissensaustausch für Experten; unterstützt aber auch die medizinische Grundversorgung in Entwicklungsländern durch Know-How Transfer. So können zum Beispiel amerikanische Studien, angewandtes Wissen aus deutschen Fachkliniken so in der Anwendung kombiniert werden, dass ein Allgemeinmediziner in Ruanda in der Anforderung und Auswertung von Laborproben profitiert.

Mit der innovativen Kombination aus Technologien wie medizinischem Knowledge Graph, Machine Learning und Reasoning Engine zur Anwendung des Wissens beschreitet das Team technisches Neuland und bildet so die Basis zur langfristigen Differenzierung. Für andere Komponenten der Plattform – z.B. Konnektoren zu Standardformaten – setzt das medicalvalues auf OpenSource Komponenten und trägt zu deren Weiterentwicklung bei.   

Simon: Bei der Diskussion um Vor- und Nachteile von KI-Algorithmen in der Medizin wird häufig als Problem angeführt, dass die Algorithmen eine Blackbox seien. Das heißt, es ist sehr schwierig, im Einzelfall genau nachzuvollziehen, wie Künstliche Intelligenz eine Entscheidung getroffen hat. Aber genau das ist extrem wichtig in der Medizin, um diagnostische und therapeutische Schritte zu rechtfertigen. Wie begegnest du solchen Bedenken? 

Jan: Im Kontext von medicalvalues freue ich mich, wenn ich darauf angesprochen werde –  dadurch heben wir uns in meinen Augen von anderer KI-gestützter medizinischer Software ab.

Um eine Nachvollziehbarkeit unserer Laborempfehlungen zu gewährleisten, haben wir viel Mühe und Ideen in unser Graph-basiertes Machine Learning investiert. Dadurch haben wir ein White-Box-System erreicht – im Gegensatz zur Black-Box, ist bei unserer KI genau nachvollziehbar, warum bestimmte Vorschläge gemacht werden.

Daher wird bei der Empfehlung über abzunehmende Laborparameter angegeben, welche Eingangsdaten des jeweiligen Patienten (z.B. ein bestimmtes Symptom, Vorerkrankung oder ähnliches) wahrscheinlich mit welcher Erkrankung verknüpft sind und daher bestimmte Werte untersucht werden. Bei der Ausgabe von Vorschlägen wird auch genau aufgeführt, weshalb diese empfohlen werden.

Simon: Wie reagieren Ärzte auf eure Idee? Leuchten ihnen im ersten Moment die Vorteile ein oder fühlen sich manche unwohl bei dem Gedanken, Kompetenzen an die KI auszulagern?

Jan: Für uns ist völlig klar, dass unser Produkt den Arzt nicht ersetzen, sondern unterstützen soll. Labordaten sind ein wichtiger Puzzlestein in der Diagnosestellung, neben Anamnese, körperlicher Untersuchung, bildgebenden Verfahren. Wir wollen in diesem spezifischen Bereich die Effizienz des Arztes steigern. Wir bilden unter anderem Leitlinienwissen in unserem Knowledge-Graph ab. Zudem können wir durch unsere umfassende Datenbasis und intelligente Algorithmen subtile Zusammenhänge zwischen Laborparametern, Symptomen, Alter und weiteren Daten identifizieren, die ein Mensch unmöglich selbst erkennen würde – das ist nicht ehrenrührig, sich als Arzt in diesem Bereich Unterstützung durch Software zu holen. 

Daher fallen die Reaktionen überwiegend sehr positiv aus. Gleichzeitig freuen wir uns natürlich über einen konstruktiven und kritischen Austausch, wir sind stets offen für Rückfragen und Feedback, um unsere Software zu hinterfragen und zu verbessern.

Wichtig ist mir auch, an dieser Stelle zu sagen: die Offenheit von Ärzten und Krankenhausvertretern, mit uns zusammenzuarbeiten, ist unabhängig vom Alter oder Hierarchiestufe der Person. 

Simon: Wie weit seid ihr mit Produktentwicklung, wann soll der Markteintritt erfolgen? 

Jan: Wir haben einen funktionstüchtigen Prototyp und können einen End-zu-End-Prozess im Klinikum (also von Labor bis zu den Ärzten auf Station bzw. niedergelassenen Ärzten) abbilden. Bereits arbeiten wir mit ersten Laborärzten im Rahmen eines Pilotprojektes zusammen und erwecken großes Interesse in der Forschungscommunity. So stehen wir mit verschiedenen Universitäten und Universitätskliniken, wie der Charité, im regen Austausch. Der reguläre Markteintritt und Vertrieb sollen im Frühjahr 2021 beginnen.

Simon: Wie wollt ihr Umsätze generieren? 

Jan: Das Geschäftsmodell von medicalvalues sieht vor, die Plattform gegen eine nutzungsabhängige Gebühr für Krankenhäuser und zukünftig auch Laboratorien bereit zu stellen.

Entscheidend ist, dass wir medizinische Inhalte bzw. unser medizinisches Wissen mitliefern können, unsere Software ist nicht nur einfach eine leere Hülle mit Werkzeugen.

Simon: Wer steht noch hinter MedicalValues, wie groß ist euer Team?

Jan: Das Unternehmen wurde von meinem Mitgründer Florian und mir gegründet. Unterstützt werden wir von einem Team aus mehreren Medizin- und IT-Studenten. Weiterhin haben wir enge Verbindungen zur KI-Forschungscommunity (z.B. am KIT) und sind über unsere alten Jobs mit verschiedenen Unis und Unternehmen vernetzt. Nochmal herausstellen möchte ich, dass wir wirklich enorm durch Mentorinnen und Mentoren profitiert haben, die Expertise in den Bereichen Medizin und Gesundheitsökonomie mitbringen.

Simon: Zum Abschluss des Interviews: hast du einen Tipp für Leute, die gerne ein Startup im medizinischen KI-Bereich gründen wollen?

Jan: Mein Tipp ist: stellt euch der Komplexität und fangt an. Bestimmte Ansätze, die man sonst häufig im Startup-Kontext hört, wie etwa das Minimum Viable Product, sind im KI-Bereich und gerade in der Medizinbranche schwierig zu betrachten. Mit einem unausgereiften, nicht getesteten Produkt sollte man in dieser Branche noch nicht auf den Markt gehen, da man hier viel Vertrauen verspielen kann und natürlich die strikte Regulation enge Regeln setzt. Im Umkehrschluss heißt das auch nicht, dass man sich übernehmen sollte und man als Produkt die universelle KI-Anwendung bräuchte, die Experte auf allen Gebieten ist. Vielmehr sollte man sich zu Anfang auf einen kleinen Teilaspekt konzentrieren, den man dann sehr gut löst.

(Anmerkung der Redaktion: MVP = ein frühes unausgereiftes Produkt, welches gerade noch so funktionstüchtig ist, und zum Testen auf den Markt gebracht wird).

Simon: Vielen Dank für das Gespräch, Jan!

Simon Rösel

Simon studiert Medizin in Göttingen und interessiert sich besonders für Innere Medizin, Bildgebung und Digital Health. E-Mail: simon@medizin-von-morgen.de

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